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Babylon Circus sind zurück! Also: alles hergehört! Sie haben sich nicht nur geändert oder einfach weiterentwickelt: sie haben nichts weniger als einen totale Neugeburt hinter sich. Und auf der Bühne sind sie so kraftvoll wie eh und je: Wenn es um energiegeladene Live-Auftritte geht, müssen sich Babylon Circus vor niemandem verstecken weder hier noch anderswo. Wenn man einmal den kalten Atem des Todes im Nacken gespürt hat, ändert sich für gewöhnlich der Blick aufs Leben und man kann von anderen Dingen berichten.. tiefgründigeren, wirklich wichtigen Dingen… und das spürt man von den ersten Momenten des neuen Albums an, das diesen Freibeutern die ihnen zustehende Anerkennung einfahren wird (und darauf sind wir zu wetten bereit!)
Alles begann 1995 in Lyon oder sogar zwei oder drei Jahre früher, denn schließlich machen David und Manu schon zusammen Musik seit sie 13 waren. Das Duo bildet den harten Kern von Babylon Circus. Die beiden sind die Gesichter und Sänger der Band obwohl Manu jahrelang Schlagzeuger war, bis er dann meinte, lange genug hinterm Schlagzeug gehockt zu haben und stattdessen zu Davids "treuem Mann zur Linken" wurde. Im Keller von Porte de Clignancourt, wo den elf Stücken des neuen Albums der Feinschliff verpasst wurde, arbeiteten die zwei mit sieben Spießgesellen, die so verrückt sind wie ihre Musik: Georges an der Gitarre, Olive an den Keyboards, Dadé am Schlagzeug, Basile am Bass, Rimbaud am Akkordeon und Saxophon, Laurent an der Trompete und Clément an der Posaune. Was für eine Mannschaft! Einst waren sie Clowns (eher Bérurier Noir als Coco), was den Namen erklärt! Einige Musiker schlossen sich ihnen an, andere hauten wieder ab. Natürlich ergibt sich bei einer Band mit etwa zehn Musikern ein ständiges Kommen und Gehen… zumal wenn die Truppe 900 Konzerte in 30 Ländern gespielt hat.
Irland war eines dieser 30 Länder. Es gab in Dublin ein Festival. Tags drauf spielte die Band ein bisschen Straßenmusik mitten im Kneipenviertel. Eine Viertelstunde später war die Straße verstopft und die Polizei musste die Menge zerstreuen. Fans boten der Band Bier als Entschädigung für das verkürzte Konzert; und abermals erschien die Polizei, denn im Land des Guiness ist das Trinken unter freiem Himmel verboten, Sir! Die fällige Auseinandersetzung mit der Polizei in gebrochenem Englisch endete, wie es kommen musste: mit David für einen Tag hinter Gittern, da er der einzige der Band war, der sich auf der Flucht schnappen ließ (er lief nicht vor der Polizisten davon, sondern hinter ihnen her, so dass sich einer von denen nur umdrehen musste, um den Burschen einzubuchten!). Eine Schlagaustausch, Polizeiarrest, eine Verwarnung und ein Auftritt vor Gericht: was für eine Schau!
Russland war ein weiteres der 30 bereisten Länder: Moskau, Stadt der Gegensätze, Heimstatt der stolzen Russen…. und der harten Trinker. Sich mit selbstgemachten Vodka vollzutanken ist beim besten Willen nicht die beste Idee nach 48 Stunden auf den Beinen, zwei Konzerten und Reisestrapazen und das an einem Freitag, dem 13.. Warum nur lagen die Zigaretten in der Garderobe ein Stockwerk tiefer, dazwischen eine blöde, tückische Treppe. Als sie David am Fuß der Treppe fanden, sein Schädel aufgeplatzt, dachten alle, er sei tot. Er kam in die Notaufnahme, mit ziemlich bösen Aussichten.
David: "Ich verlor zwölf Tage meines Lebens. Doppelte Gehirnerschütterung. Eine Zeitlang konnte ich nicht mal mehr Französisch sprechen. Ich verwandelte mich in Mr. Hyde. Endlose Krankenhausaufenthalte. Ich war kurz davor aufzugeben. Schließlich verlief ich in eine tiefe, tiefe Depression und an den Spätfolgen leide ich noch heute." Um ihm aus seiner Niedergeschlagenheit heraus zu helfen, entschieden sich Babylon Circus für eine Schocktherapie. Nur vier Monate nach dem Unfall traten sie im New Yorks Central Park auf. Sie sahen allesamt blass aus. Der Sänger wirkte teilnahmslos und apathisch, in sich versunken und antriebslos. Aber dann legte irgendetwas auf der Bühne den Schalter um. David: "Die Band hat mich über Wasser gehalten. Ohne die wäre ich untergegangen. Im Sommer 2007 spielten wir ungefähr zwanzig Konzerte, danach fingen wir mit der Arbeit am neuen Album an. Jetzt da sind wir!"
Das vierte Album in zehn Jahren, keines weniger. Nach ihrem Dasein als 100-prozentige Indie-Band erinnern wir uns daran, dass die Band von Yelen, einem Unterlabel von Sony betreut wird, das sich schon um solch namhafte Acts wie Tryo, Java and La Rue Ketanou kümmerte.
Neues Leben
Zu den Zeiten ihres Album Dances of Resistance (2004) kannte man Babylon Circus als eine Alternative-Rock-Band; jetzt befinden sie sich Off-Road-Stimmung, jedes Fitzelchen von Energie noch ganz bei ihnen. Einst nannte David The Clash, Mano Negra und Bob Marley als Haupteinflüsse. Heute tauchen noch ganz andere Namen auf, darunter Higelin, Renaud and Téléphone.
Das zeigt sich in ihrer Musik. Nach den oben erwähnten Erlebnisse holt sich die Musik ihre Inspiration nicht mehr nur aus den Zeitungen sondern aus dem Alltag, dem täglichen Leben, Gefühen und man glaubt es kaum! Liebesgeschichten! Oder Freundschaft. Oder beides. Wie in Marions-nous (Lass uns heiraten), in dem ein ‘Bonnie & Clyde’-Pärchen vorkommt, das Tagträumen nach einer Hochzeit nachhängt.
David: "In meinen Augen ist das Ganze so im ‘Buster Keaton meets Fear and Loathing in Las Vegas’-Stil gehalten, aber das muss jeder selber sagen. Jedenfalls fand ich es fantastisch, mit Eugenio Recuenco zusammenzuarbeiten und etwas gemeinsam zu entwickeln, der eigentlich Modefotograf und also au seiner ganz anderen Welt stammt. Er führte beim Video für Marions-nous Regie, worin ich mit Karina Zeviani spreche, einem Model und Sängerin mit brazilianischen Wurzeln, die neben ihrer eigenen Gruppe auch für Thievery Corporation and Nouvelle Vague singt." Marions-nous und Nina schrieb David gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler, Violonisten, Musikleherer und Komponisten Jérémy Dirat.
L'Envol (Abflug), ist eine Babylon Circus-typische aufpolierte Version eines Songs, den ihnen Erwan des Pariser Quartetts Java schenkte. Dann gibt es da noch Le Fils caché du pape (Der heimliche Sohn des Papstes), den Mickaël Furnon von Mickey 3D schrieb.
David: "Mickaël half mir mit dem Gesangsparts. Ich musste mich davor hüten, die Texte zu sehr zu betonen. Ich musste sie so zurückhaltend wie möglich einsingen, so dass sie am wirkungsvollsten waren. Imechten Leben bin ich mehr so ein Typ für Daddy Was A Bank Robber von The Clash als das Stück über den Sohn des Heiligen Vaters. Mein eigener Vater… keine Ahnung. Ich habe ihn nur zwei oder dreimal im Leben zu Gesicht bekommen, zwischen zwei Haftzeiten.
Ich verdanke alles meinem Onkel und seine Gruppe Les Barbarins Fourchus. Er zeigte mir die ersten Griffe uaf der Gitarre, er liess mich Strassenmusik machen und den Hut rumgehen am Grande Braderie in Lille. Ich war vierzehn. Als sie mich in der Schule fragten, was ich spatter machen wollte, sagte ich: "Rocksänger". Meine Lehrer und Klassenkameraden lachten mich aus. Ich behielt recht.
Babylon Circus spielten eine Version von La Cigarette von Les Barbarins Fourchus ein die eine, die man nach dem Liebesspiel anzündet, wie Charles Dumont, nur eben etwas freudiger.
So hieß es immer volles Risiko für Babylon Circus. David hatte seinen Zusammenstoß mit dem Tod: eine ziemlich ernste Angelegenheit, bis er den Tod mit einem "Geh' zur Hölle" zur Seite stieß. Für ihn hat sich das Unterste nach oben gekehrt. Der Himmel ist ihm auf den Kopf gefallen und er trägt ihn jetzt als Hut! Nun denn, Babylon Circus sind wieder auf ihrer unendlichen musikalischen Reise, durchqueren das ganze Land. Das Land, sage ich? Die ganze Welt!
Gilles Verlant
www.babyloncircus.com
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15 Euro |